Novi Sad – der Wendepunkt

Freitag – wir planten den ersten anständigen Schlag in Richtung Budapest. Novi Sad – knapp 80 km weiter musste es mindestens sein, wenn wir Budapest noch erreichen wollten, besser noch 20 km mehr. Wir starteten bei strahlend blauem Himmel, der Verkehr lichtete sich nach etwas mehr als  10 km dann in der Peripherie von Beograd.

Wir kommen gut voran, aber es wird immer heißer. Gegen Mittag erstehen wir an einer Straßenkreuzung ein halbes Kilo Kirschen für umgerechnet einen Euro. Wir befinden uns jetzt im Obstanbaugebiet Krčedin, wo hauptsächlich Äpfel, Pfirsische und Kirschen angebaut werden. Die Ortschaft sind geprägt von langen geraden Straßen. Zwischen Straße und den Häusern hat es einen Grünstreifen, dessen Rasenfläche immter gut gepflegt ist und vor den Häusern mit Walnussbäumen bepflanzt war. In dessen Schatten befindet sich fast vor jedem Haus eine Bank von der uns viele ältere Bewohner strahlend zuwinkten und anfeuerten… Zumindest diese Bürger fanden uns gut – die Asphaltritter in ihren 40 Tonner mit Sicherheit nicht so. Die Lücke zur Straßenfront in der Häuserreihe waren immer durch Hoftore und Mauern verschlosen.

Ca. 8 km vor Novi Sad eine üble Abfahrt über mehrere Kilometer Betonplatten – Kukident hätte das Gebiss nicht mehr gehalten. Ein paar Kilometer weiter nach einem 3 spurigem Steigungsstück ein Stau. Kein Gegenverkehr mehr, alles versucht noch auf der Gegenspur noch weitere Meter gegenüber der Konkurrenz gut zu machen. Wir sind mit unseren Rädern im Vorteil und können uns an einem LKW  vorbei mogeln, der gerade einen PKW aus einem Busch zieht. Die restlichen Kilometer bis Novi Sad laufen dann sehr ruhig – wir haben den Verkehr an der Unfallstelle abgestreift.

In Novi Sad Pause in einem sehr schönen an der Ufer-Promenade gelegenen Restaurant. Karten-Studium: bis wohin kommen wir noch? Mhh. 80 km stehen auf dem Zähler, die nächsten Übernachtungsmöglichkeit wären weitere 42 – zuviel für heute. Wir treffen noch auf einen Thüringer, der in Deutschland mit einem E-Bike und Ersatz-Akku gestartet ist. Nach noch nicht mal 300 km, Defekt des Elektro-Motors. Austausch oder Ersatz des Front-Motors – Fehlanzeige (der Hersteller steckt gerade in der Insolvenz). Also wuchtet er sein 25 kg-Elektro-Schrott-Bike seit Regensburg rein Muskelbetrieben durch die Landschaft. Im Vertrauen auf den Elektro-Motor hatte er riesige Gepäcktaschen an seinem Stahlross installiert (mindestens 50 % mehr Packvolumen als unseres). Immerhin kann er es sich erlauben verschmutze Wäsche mit der Post nach Hause zu schicken. Ob sich die Schlepperei allerdings lohnt? Wir meinen, weniger ist mehr (+1 mal Rei aus der Tube)

Nach Abendessen und ausreichend Flüssigkeitszufuhr (da haben wir jeden Tag Defizite bei den hohen Temperaturen) Kartenstudium. Wir müssten in vier Tagen in Budapest sein. Bei etwas mehr als 4oo km eigentlich kein Problem. Leider ist die Dichte der Übernachtungsmöglichkeiten in Kroatien, in das wir am nächsten Tag einfahren würden, so blöd, dass man entweder um 80 km oder über 120 km fahren müssten. 120 km bei diesen Temperaturen oder auch noch Gegenwind, das machen wir einmal aber nicht an mehreren Tagen hintereinander.

Deshalb entschließen wir uns schweren Herzens nach Beograd zurück zu fahren und dort den Heimflug anzutreten.

Noch ein Wort zu Versorgung: wir können uns glücklich schätzen, dass auf unserer Tour Aldi (weniger) und Lidl (öfter) noch nicht so präsent sind. Dafür haben wir in Rumänien, Bulgarien (weniger oft) und Serbien in jedem noch so kleinen Dorf zwischen ein und 3-4 Minimarkets vorgefunden. Jeder davon ist mit einer Batterie von Kühlschränken ausgestattet, die jederzeit für Flüssigkeitsnachschub sorgten. Die Minimarkets waren auch am Wochenenden über den ganzen Tag geöffnet. Beste Infrastruktur für Radler!

Beograd – nichts für Fahrradfahrer

Belgrad war das nächste große Etappenziel unserer Reise. Die Hauptstadt Serbiens hat selbstverständlich einen internationalen Flughafen und wird mehrmals täglich von der Lufthansa und ihren Star-Alliance-Partnern angeflogen.

Insofern eine gute Möglichkeit einen Rückflug für die anstehende Beerdigung nach Frankfurt zu buchen. Ziel des Tages war es in den westlichen Teil von Belgrad zu kommen. Dort befindet sich auch der Flughafen. Je nach dem wann denn die Beerdigung stattfinden würde, könnte man vielleicht auch noch versuchen nach Budapest weiter zu fahren.

Auf den ersten Kilometern weg von Banatska Palanka sind wir den ersten unbefestigten offiziellen Teil des EV6 in Serbien geradelt – auf einem Hochwasserdamm. Gegenüber der Alternative auf Asphalt eine Einsparung von 10 km. Leider hat die Qualtität der Oberfläche nichts mit der Qualität unbefestigter Fahrradwege auf Hochwasserdämmen wie wir sie vom Rhein kennen zu tun. Da die Hauptroute für den heutigen Tag weitere 75 km unbefestigten Radwegs vorsah, haben wir uns entschlossen eine Alternativ-Route zu fahren. Die sollte insgesamt 15 km kürzer sein. Irgendwie ist uns nach ca 10 km bei der ersten Rast im ersten Dorf aufgefallen, dass wir die falsche Straße gefahren sind und wir uns auf einer relativ stark befahrenen Bundesstraße bewegten. Da diese Variante nochmal kürzer als die Alternativ-Route war und es keine Möglichkeit mehr gab auf die Alternativ-Route abzubiegen (außer zurück zu fahren und 20 km Umweg in Kauf zu nehmen) blieben wir bis 15 km vor den Toren Belgrads auf dieser Bundesstraße (14). Zwischen Pantschowa und Belgrad zweigte dann der Fahrradweg erkennbar wieder auf den Hochwasserdamm ab. Erkennbar wieder unbefestigt. Das versprach kein schnelleres Vorankommen wie am Morgen bereits erfahren. Also blieben wir auf der jetzt noch stärker befahrenen 14. Als ein paar Kilometer später die 14 dann als eine Art Autobahnauffahrt auf die E70 fungierte, waren wir uns nicht mehr so sicher, ob wir auf dem legalen Weg nach Beograd sind. Zum Glück hatte uns kurz zuvor ein Freizeitradler mit deutlich höherer Geschwindigkeit überholt und war auf der E70 noch schwach am Horizont zu erkennen. Die E70 hat in diesem Bereich auch eine seperate Bus- (und Stand-)spur und an den Bushaltestellen immer wieder eine Fußgängerampel. Nach gut 5 Kilometern auf der E70 haben wir dann an einer Bushaltestelle angehalten und uns die Radkarte noch mal genauer angesehen. Eigentlich sollte der Radweg doch asphaltiert sein (so die Karte) und nahm in diesem Bereich auch eine vermeintliche Abkürzung durch einen Bogen der Donau. Also entschlossen wir uns der offiziellen Variante zu folgen. Nach gut einem Kilometer haben wir dann den Damm erklommen – nix asphaltiert, wieder mal ungefestigt. Aber es rollte noch gut. Nach zwei weiteren Kilometern wurde dann das Gras immer höher. Kurz vor der Brücke nach Beograd musste wir dann durch Heu fahren und noch ein Stück weiter Heuballen umfahren, die natürlich auf der noch einigermaßen gut befahrbaren Spur lagen. An der Brücke angekommen wurde der Weg dann durch einen Schlagbaum so abgesperrt, dass man mit dem Rad nicht mehr drum herum fahren konnte. Irgendein Scherzkeks hatte ca 1500 m vor der Schranke ein EV6 Hinweisschild so umgebogen, dass wir weiter auf dem Damm gefahren sind anstatt eine 45° vom Kurs in eine kleine Siedlung zu fahren und von dort dann befestigt zur Brücke.

Beograd selbst war die Hölle für den Deutschen Fahrradfahrer. Wir haben uns schon nicht getraut auf der Brücke und deren Rampen auf der Autospur zu fahren (viel zu viel Verkehr, sehr viele Busse und LKWs). Der kombinierte Fußgänger- und Radweg war kaum befahrbar – auf der Brücke alle paar Meter an den Dehnungsfugen Absätze von 10 cm Höhe oder mal Lücken von 15 cm Breite. Mit dem Mountain-Bike eigentlich kein Problem, sondern eine willkommene Herausforderung, nicht aber für unsere Lastkähne. Beograd-Zentrum selbst glänzte durch einen Riesen-Stau, verursacht durch Straßenbau-bedingte Sperrung genau der Straße, die wir befahren wollten/sollten. Auf der Umleitung umrundeten wir den recht großen, mitten in der Stadt gelegenen Zentralfriedhof. Natürlich nicht ohne 50 Extra-Höhenmetern für die Bergwertung mitzunehmen. Der Rest durch die Innenstadt war auch nicht weniger spannend. Wir fanden eine Kreuzung nicht, mussten dann ein Stück Einbahnstraße auf dem Fußgängerweg zurücklegen um dann festzustellen, dass die Kreuzung wohl nur in einem Tunnelsystem existiert, das wir aber nur aus der entgegen gesetzten Richtung kommend befahren hätten… soviel zum Thema GPX-Tracks (die meisten der Donau-Radler fahren den Fluss abwärts – wir halt nicht 🙂

Nachdem wir die zweite Donaubrücke nach Norden auf der Busspur überquerten und dabei mal gleich 3 Busse ausbremsten wurde es dann auf der Uferpromenade ruhiger. Nach weiteren 5 km dann Quartier im Hotel LAV im Vorort Zemum. 100 km Tagesetappe, davon viele mit Gegenwind und noch mehr mit heftigem Verkehr.

Dort erreichte uns am Abend die Nachricht, dass wir noch fast eine Woche Zeit bis zur Beerdigung haben würden. Nach Budapast waren es von hier noch 515 km. Unser Plan – wir radeln weiter, 515 km schaffen wir normalerweise in 5 Tagen.

Noch ein kleines Wort zum Thema Straßenqualität in Serbien. Fehlende oder zerbrochene Gussgitter in Regenwasserrinnen sind genauso Standard wie große Schlaglöcher (10-20 cm tiefe Löcher) vor oder neben diesen Gulli’s oder genauso große Absenkungen der Asphaltdecke. Man weicht ständigt solchen Hinternissen aus und das im dichtesten Verkehr. Busfahrer sind am brutalsten im Kampf um den Platz auf dem Asphalt. Da wird kurz gehupt und dann überholt. Wenn man Glück hat, dann mit 50 cm Abstand. 15 – 20 cm waren aber auch keine Seltenheit. Technisch würde unser TÜV geschätzte 80-90% der Fahrzeuge aus dem Verkehr ziehen. Fehlende Kats sind Standard, dickste Ruß-Schwarten hinter Diesel-getriebenen Fahrzeugen genau so normal wie übelste Defekte in Rad- und Achsaufhängungen (metallisches Schlagen beim Durchfahren der überall vorhandenen Schlaglöchern). Die bei uns im Lande geführte NOx und Feinstaub-Debatte wirkt vor den Umständen in Belgrad, Rumänien und Bulgarien mehr als bizarr. Und spätestens hier wird auch klar, dass in der EU mit dreierlei Maß gemessen wird.